Papa, ich will Seo werden

Irgendwann kommt der Tag, an dem Papa oder Mama mit Sohn oder Tochter ein ernstes Gespräch führen. Selbst hartgesottene Männer fürchten diesen Moment. Er treibt ihnen die Schweißperlen auf die Stirn. Schließlich geht es darum, Verantwortung zu übernehmen, selbständig zu werden und das Leben mit beiden Händen zu greifen. Es ist einer jener Momente der Wahrheit. Hat es sich gelohnt, dem Kleinen schon vor dem Kindergarten den ersten Taschenrechner zu schenken, mit ihm jedes Wochenende Autos gucken zu gehen oder ständig neue Spielzeugbagger mitzubringen, um die ersten Weichen für die Zukunft zu stellen. Und wie stolz muss der Papa sein, wenn Sohnemann dann sagt: „Ich will genau wie Du Baggerfahrer werden.“ Die Nervosität verfliegt, Papa gönnt sich ein Bier extra und bestellt schon den passenden Helm. Mutter überlegt derweil, welche Gardinen sich in der ersten eigenen Wohnung des Sprosses gut machen könnten. Was aber, wenn Papa als Polier und Mama als Mädchen für alles bei der Bank eines Tages erfahren: „Ich will Seo werden.“ So könnte das aussehen:

Kaum ist Papa von der Arbeit zurück und hat es sich auf dem Sessel bequem gemacht, kommt Kurti ins Wohnzimmer und sagt den folgenschweren Satz, „Papa, ich will Seo werden.“ Da das Bier den Weg den Rachen hinab noch nicht ganz zurückgelegt hat, spuckt der Vater vor Schreck ein paar Tropfen auf sein Hemd. „Wat is dat denn? Seo? Ich kenn‘ nur Leo von ne Lümmelwiese und so einen wirst Du nich.“ Kurti verdreht die Augen. „Die machen in Internet, Papa. Das ist die Zukunft.“ Der Vater, nach dem Hustenanfall noch feuerrot, zieht nur die Schultern hoch. „Ja und. Damit willste Geld verdienen?“ Das eifrige Kopfnicken von Kurti veranlasst den Papa, etwas weiter auszuholen. „Hör‘ mal, die Inge von Inges Büdchen macht auch irgendwas mit www und de. Die hat auch so ´ne Homepage, mit eigenem Slogan: Haste Hunger und Durst, kauf Pils und Wurst. Der ist gut was?“ Kurti, mittlerweile auf dem Sofa sitzend, hört einfach nur zu und schüttelt leise den Kopf.

Der Papa erzählt weiter: „Der Otto, kennste doch, der fährt bei uns den Lkw, guckt jeden Tag auf die Seite. Da ist ein Zählwerk eingebaut und das geht immer einen weiter, jeden Tag. Im Jahr sind das mindestens 300 Leute. Das macht die Inge alleine und die hat das nicht gelernt.“ Von einem Klatschen unterbrochen, Kurti hat sich gerade mit der flachen Hand auf die Stirn geschlagen, wird der Vater böse. „Wat denn?“ „Papa, als Seo hole ich tausende Besucher auf die Seite von Inges Büdchen und kriege dafür Geld.“ Jetzt haut sich der Vater lachend auf die Schenkel. „So viel Würstchen kann die Inge doch gar nicht in den Topf werfen, tausend Leute. Man, das ist ein Büdchen, kein Restaurant.“ Ganz wohl ist dem Vater nicht, als er sieht, dass die Freude in den Augen seines Sohnes mittlerweile Resignation gewichen ist. Er lenkt ein. „Lern doch ein Handwerk. Das hat goldenen Boden“.

Da strahlt Kurti wieder. „Seo ist solides Handwerk. Das sagt Speedy-Adonis und der muss es wissen.“ Vater springt fast vom Sessel auf. „Speedy-Adonis, wer soll das denn sein? So einer wie Busen-Berti vom Kiez. Sach mal, willste Schmuddelkram machen? Dann fängste Dir aber ein paar. Was sollen denn die Nachbarn denken.“ So langsam wird Kurti sauer, weil Papa gar nichts kapiert. „Der hat FBI gegründet und fährt überall rum, um Vorträge zu halten.“ Dem Vater platzt der Kragen. „Porno und Geheimdienst. Glaub‘ ja nicht, dass wir zwei noch mal James Bond gucken.“ Der Herr im Haus setzt sich gerade hin, dreht den Kopf Richtung Küche und brüllt: „Gerda, der Junge will Spion werden, stell Dir das mal vor. Ein Spitzel bei uns im eigenen Haus.“

„Nee, Papa. FBI ist Fresh Boosting Ideas, nicht die Staatspolizei in den USA. Der Speedy-Adonis ist Seo und Super-Affiliate.“ Nach der zweiten Flasche Bier, Papi ist schon etwas ruhiger, entweicht den Lungen nach einem lauten Rülpser ein langgezogenes Stöhnen. „Jetzt auch noch Superman. Das passende T-Shirt hast Du ja schon vom Fasching.“ Kurti, den Tränen nah, läuft in sein Zimmer. Die Mutti öffnet nur kurz die Tür. „Lass‘ mal gut sein Junge. Der Papa ist gestresst.“ Danach geht sie ins Wohnzimmer, tätschelt ihrem Mann das Knie. „Horst, der Junge weiß schon, was er will.“ „Ja, als Superman im Puff spionieren. Ich kapier´s nicht. Da zeigt man ihm die Bagger und alles, was ist der Dank. Nur Flausen im Kopf.“ Mutti Gerda lächelt weise, streichelt ihren Horst und sagt ganz leise: „Vielleicht ändert Kurti seine Meinung ja noch, wenn er erst mal in der Grundschule ist.“

Was sagt uns die Geschichte: Dass es bei Inges Büdchen Pils und Wurst gegen Hunger und Durst gibt, Vater Horst nur selten am Computer sitzt, Mama Gerda ihr Männer genau kennt und Kurti öfter mal auf den Spielplatz sollte.

Die Aussage einer Person, die gerne pokert und sich sozial engagiert, „Seo ist solides Handwerk“, hat mir den Floh zu dieser Geschichte ins Ohr gesetzt. Anspielungen auf den aka-Namen und andere Kürzel seien mir deshalb erlaubt und – falls falsch verstanden – hoffentlich auch verziehen. Der Wortartist.

17 Gedanken zu „Papa, ich will Seo werden“

  1. Schöne Geschichte. Speedyadonis *lol* Der Wortartist begeistert mich immer mehr, schade dass auf der Website kaum Infos zu finden sind, den Mann könnte man glatt mal engagieren. Also – zumindest einen Counter könnte er ja einbauen, der hätte grade bestimmt was zu zählen :)

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